Man weiß quasi gerade erst, dass man schwanger ist und schwupps ist es da, dieses kurze Zeitfenster, in der das Ersttrimester Screening durchgeführt werden kann. In jeder Schwangerschaft stellt sich also sehr früh die Frage: Gehe ich da hin oder nicht? Will ich das Ergebnis Wissen oder nicht? Innerhalb kürzester Zeit muss diese Entscheidung getroffen und ein Termin vereinbart werden.

Man hat noch gar nicht verinnerlicht, dass man bald Mama oder Papa wird, und schon muss eine so weitreichende Entscheidung getroffen werden. Welche Vor- und Nachteile hat diese Untersuchung? Wo kann ich diese Untersuchung machen lassen? Und was erzähle ich meinem Arbeitgeber? Niemand weiß, dass ich schwanger bin, aber ich gehe schon einmal zu einer so umfangreichen Untersuchung?

Frage ich Schwangere, höre ich meist eine von diesen Aussagen:

  • Äähhhmm. Also...ich hab es irgendwie verdrängt. Wird schon alles gut gehen. Und zack war das Zeitfenster auch schon rum. Kommt doch bald das große Organscreening in SSW 20!
  • Klar gehe ich! Das gibt tolle, hochauflösende Bilder und vielleicht ein 3D Filmchen! Das lasse ich mir nicht entgehen! Und der Papa kann auch direkt mal schauen, was da auf ihn zukommt! ?
  • Niemals! Ich habe ein Recht auf Nichtwissen und jedes Kind ist willkommen! Ein Kind mit Behinderung wird genau so geliebt wie ein gesundes Kind!

Diese Entscheidung ist die zweite große Entscheidung im Eltern-Dasein (Die erste ist „wollen wir ein Kind!?“ und ist dann wohl mit „Ja“ und einer bestimmten Aktion bestätigt worden).

Eltern sind also auf dem Papier noch längst keine Eltern, haben aber schon eine weitreichende Eltern-Entscheidung zu treffen. Die erste Entscheidung in Verantwortung für ihr (ungeborenes) Kind. Die wenigsten werdenden Eltern machen sich Gedanken darüber, was für Konsequenzen eine Untersuchung oder eine nicht-Untersuchung haben können.

Also drösele ich das ganze mal ein bisschen auf und schreibe für euch auch mal unsere Entscheidungsfindung auf. Unsere Erfahrungen habe ich hier schon einmal geteilt!

Was kann das Ersttrimester Screening und was nicht?

Das Ersttrimester Screening (oder Ersttrimesterscreening) ist eine pränatale Untersuchung und in Deutschland nicht im Umfang der Schwangerschaftsvorsorge enthalten. Das bedeutet, dass es eine freiwillige Untersuchung ist, die je nach Umfang Kosten ab 200 EUR aufwärts verursacht. Anhand von mütterlichen Blutwerten, Ultraschallmessungen am ungeborenen Kind und der Abfrage diverser Risikofaktoren, wie z.B. dem Alter der Eltern oder Erbkrankheiten in der Familie, berechnen Ärzte dabei das Risiko für kindliche Chromosomenveränderungen oder Fehlbildungen. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist also keine Diagnose, sondern eine Prozentzahl. Ein Risikofaktor.

Ist dieser Risikofaktor bestimmt, bespricht der/die Pränataldiagnostiker*in mit dir weitere Schritte. Und ja, in den meisten Fällen folgt danach eine freundliche Verabschiedung und ein Hinweis darauf, wo die hochauflösenden Bilder heruntergeladen werden können. Aber auch nicht immer!

Ist der Risikofaktor hoch, stehen schon die nächsten Entscheidungen in den Startlöchern, nämlich darüber, welche weiteren diagnostischen Verfahren oder Untersuchungen gemacht werden können. In diesem Fall kann man nur jeder Schwangeren oder jedem Elternpaar wünschen, an eine(n) emphatischen Pränataldiagnostiker*in geraten zu sein. Ab dem Zeitpunkt dieser Entscheidungsfindung beginnt der Nebel, der Schockmoment, von dem ich schon so oft berichtet habe.

Tipp: Mehr über diese Untersuchung, ihre Hintergründe und Geschichte, was sie kann oder eben nicht, hat Johanna Kober Prof. Roland Axt-Fliedner in ihrem von Herz zu Herz Podcast gefragt. Er ist Leiter der Pränatal- und Geburtsmedizin am UK Gießen-Marburg und klärt auch auf Instagram auf, was die Pränataldiagnostik kann! Hört mal rein! Echt spannend. Die Ultraschalle am Baby sind ziemlich genau so alt wie ich und sollten anfangs nur sicherstellen, dass das Alter der Schwangerschaft richtig eingeschätzt ist und Totgeburten durch Übertragung verhindert werden. Wenn ich bedenke, welche diagnostischen Fortschritte da in den letzten 40 Jahren gemacht wurden, wird mir richtiggehend schwindelig!

Meine Meinung zum Ersttrimester Screening als Nicht-Mama

Bei meinen ersten beiden Schwangerschaften – davon habe ich nur eine ausgetragen – haben wir als Paar eigentlich gar nicht klar darüber geredet, also keine bewusste Entscheidung getroffen. Was ein Ergebnis eines Ersttrimester Screenings bedeuten kann, das haben wir nie besprochen. Zwar sagte mein Mann, dass er mit einer möglichen Behinderung nicht klar käme. Ich persönlich habe glaube ich alles verdrängt. Und dann war der passende Zeitraum für das Ersttrimester Screening auch schon vorbei. Wir gehörten also zur Kategorie 2. Total eingespannt in zwei Karrieren, war auch überhaupt kein Platz für so eine Diskussion. Und die Tragweite war uns da ehrlich gesagt überhaupt nicht bewusst.

Zur Feindiagnostik bzw. dem Organultraschall sind wir dann aber gegangen. Ich wollte wissen, ob das Kind nach der Geburt spezielle Unterstützung braucht. „Falls was ist!“ Das hätte dann nämlich die Geburt in unserem kuscheligen Kreiskrankenhaus hier in Mettmann torpediert. Der Pränataldiagnostiker fragte uns damals, ob wir uns klar darüber wären, welches Risiko wir als „alte Eltern“ mit uns brächten. Aber die Große war Kerngesund! Und danach habe ich auch nie wieder darüber nachgedacht, wie bedeutend diese Untersuchungen sind. Es gab die schicken und scharfen Bilder und die haben wir stolz allen gezeigt, die sie sehen wollten.

Meine Meinung als Nicht-Mama: Wird schon gut gehen!

Meine Meinung zum Ersttrimester Screening als einfach-Mama

Und dann die dritte Schwangerschaft. Ich über 40 und die Gynäkologin dieses Mal etwas deutlicher, als es um das Thema Ersttrimester Screening ging. Und dieses Mal war die Situation auch anders. Wir haben nicht nur für uns entschieden, das Screening zu machen, sondern auch für die zukünftige Schwester. Denn wir alle drei als Familie hätten mit dem Ergebnis leben müssen. Wir hatten also doch schon 2 Jahre mehr Übung darin, Eltern-Entscheidungen zu besprechen und bewusst zu treffen.

Und so sind wir hingegangen. Mit dem Hintergrund genau zu schauen, ob wir das, was auf uns zukommt, als Familie gewuppt bekommen. Und ich im Hinterkopf mit dem unausgesprochenen Gedanken: die Schwangerschaft beenden könnte ich eh nie!

Meine Meinung als einfach-Mama: Hingehen! Jede Familie hat nur begrenzte Ressourcen! Aber: Bitte mit den möglichen Entscheidungen danach anfreunden!

Meine Meinung zum Ersttrimester Screening nach pränataler Diagnose

Aus heutiger Sicht bin ich dankbar, dass die Diagnose so früh in der Schwangerschaft gestellt wurde, dass ich mich so lange hab vorbereiten können. So konnten wir unsere Gedanken sortieren, mit viel Bedacht die Klinik aussuchen, das Kind auf naheliegende Syndrome testen lassen und die notwendige Unterstützung organisieren.

Meine jetzige Meinung ist, dass wir kein „Recht auf Nichtwissen haben“, sondern eher eine „Pflicht auf Wissen“!

Ohne die pränatale Diagnose, hätte das Herzkind die ersten Tage seines Leben nicht überlebt. Zu weit wäre der Weg in eine entsprechende Klinik gewesen. Hätte ich auf MEIN Recht auf Nichtwissen gepocht, hätte ich meinem Sohn geschadet.

Und auch meine Meinung zur Humangenetik hat sich geändert. Ich kenne nun Wörter wie „syndromal“. So werden Symptome bezeichnet, die durch ein Syndrom hervorgerufen werden. Und so kann die Humangenetik Symptome „voraussagen“, denen man in manchen Fällen schon im Vorfeld entgegenwirken kann.

Das „Recht auf Nichtwissen“ – wer profitiert davon?

Es ist MEIN Recht auf Nichtwissen. Poche ich darauf, möchte ICH mich nicht mit dem Ergebnis dieser Untersuchung befassen. Ein eventuelles Ergebnis verschiebt sich damit auf einen Zeitpunkt (weit) nach Geburt.

Poche ich als Mama hier auch auf mein „Recht auf Nichtwissen“, verwehre ich meinem Kind eventuell (lebens-)notwendige Therapien und Maßnahmen nach der Geburt, die späteren Herausforderungen zuvor kommen und diese abmildern können.

Poche ich als Mama hier auch auf mein „Recht auf Nichtwissen“, verschiebe ich meine eventuelle Traumatisierung und die Krisenbewältigung auf einen Zeitraum, der von einer Mama schon 150% abverlangt: die Wochenbettzeit. Zu Lasten des Neugeborenen und aller anderen Familienmitglieder.

Das alles zugunsten einer „sorgenfreien“ Schwangerschaft?

Meine Meinung ist die „Pflicht auf Wissen“

Nicht, dass ihr mich (und die Untersuchungen des Ersttrimester Screening) falsch versteht. Es geht mir nicht darum, frühzeitig zu erkennen, ob eine Schwangerschaften besser beendet werden sollte.

Es geht es bei den Untersuchungen nicht primär darum herauszufinden, OB man das Kind bekommen möchte. Sondern eher darum, WO.

Ist das Kind augenscheinlich Gesund, kann der Geburtsort und Geburtsmodus frei entschieden werden.

Ist das Kind nicht gesund, benötigt nach der Geburt direkt medizinische Hilfe, kann eine Geburtsklinik gewählt werden, die dem Baby nach der Geburt den besten Start ermöglichen kann.

Das Ersttrimester Screening – besser als sein Ruf!

Ich weiß auch nicht…aber irgendwie fühlt sich dieser Text an, als müsse ich es verteidigen. Dass wir beim Ersttrimester Screening waren. Und dass ich jetzt auch unbedingt dafür plädiere!

Das Screening hat irgendwie einen schlechten Ruf. Man spricht nicht offen darüber mit Unbekannten. Der Interpretationsspielraum ist zu groß. Die Gefahr sich erklären zu müssen.

Woher stammt dieser Ruf? Und wer nährt ihn? Gute Frage, nächste Frage.

Meine Wünsche für kommende werdende Eltern

Ich wünsche mir, dass das Ersttrimester Screening oder pränatale Diagnostiken einem offenen öffentlichen Diskurs unterzogen werden.

Der Diskurs sollte die Vor- und Nachteile aller Aspekte beinhalten. Die Rechte des ungeborenen Kindes, die Psyche der Eltern und Familien, die Unterstützung von Familien mit besonderen Kindern, die Möglichkeiten und Grenzen der Pränataldiagnostik, die Kostenübernahme und die unmittelbare Begleitung nach Diagnosestellung.

Ich wünsche allen kommenden werdenden Eltern, dass sie sich niederschwellig umfassend über diese Aspekte informieren können und so zu einer bewussten Entscheidung kommen können, ob sie diese Untersuchung wünschen oder nicht.

Ich wünsche allen kommenden werdenden Eltern, dass sie nach Diagnosestellung vom „System“ besser aufgefangen werden als wir. Unerheblich, ob dies vor oder nach der Geburt der Fall ist.

Ich wünsche allen (besonderen) Kindern: eine adäquate Lobby.


Frage einer Followerin an meinem Fragen Freitag auf Instagram

Hat der Frauenarzt dich zu Feindiagnostik geschickt, oder aus Zufall etwas erkannt als Grund dafür, dass ihr hingegangen seid?

Instagram Story, die in Kürze diesen Text wiedergibt.
Fragen Freitag und meine Antwort: Wir haben eine Pflicht auf Wissen!

2 Comments

  1. Alex 16. Februar 2023 at 02:17 - Reply

    Ich war nicht beim Erstsemesterscreening. Aber nicht, weil ich auf mein Recht auf Nichtwissen bestehen wollte. Ich wollte wissen. Als ich 11 war, wurde meine Schwester als Kind mit besonderen Bedürfnissen geboren und verstarb 9 Jahre später. Ich weiß sehr genau, was ein solches Kind für eine Familie bedeuten kann und wusste auch, das schaffe ich eigentlich nicht noch mal.
    Mir war aber das Ergebnis der Untersuchung nicht ausreichend. Das Warten bis zur 20. Woche viel mir auch nicht leicht. Doch mit einem Ergebnis das nur irgendwelche Prozentzahl-Vorhersagen gibt, wäre ich vermutlich nur noch nervöser gewesen. Ich habe mich daher bewusst dagegen entschieden.
    Nach deinem Erfahrungsbericht würde ich es ggfs. bei Kind 2 anders machen. Auf jeden Fall aber auch wieder bewusst entscheiden.

    • ClaudiaKamprolf 16. Februar 2023 at 05:45 - Reply

      Liebe Alex,

      Vielen Dank für deine Geschichte und deine Gedanken!

      Ja, jede Familie hat andere Beweggründe, sich für oder gegen das Ersttrimester Screening zu entscheiden. Und alle sind richtig und wichtig, denn sie sind individuell.

      Wie du schreibst ist es wichtig, diese Entscheidung bewusst zu treffen und die Konsequenzen zu kennen!

      Ich freue mich, dass ich dich zum „nochmal nachdenken“ anregen konnte!

      Claudia

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