Wir sind oft und viel bei Ärzten mit allerhand verschiedenen Untersuchungen. Und ständig ist sie da, die Angst, nicht seine Grenzen wahren zu können oder zu dürfen. Ständig ist das Herzkind den ärztlichen Übergriffe ausgesetzt. So meine eine Sichtweise. Die andere ist, dass es notwendige medizinische Untersuchungen sind. Ein Dilemma.
Ich habe selten die Möglichkeit mich vorher zu informieren…was für eine Untersuchung ist das? Was wird genau gemacht? Kann/darf ich ihn halten dabei oder muss er liegen? Wie wird er angefasst? Welche Instrumente werden benutzt?
Zu unfreundlich sind meist die Leitstellen, zu eng gestaltet der Zeitplan, zu viele Leute im Wartezimmer. Ich beobachte mich, wie ich mich selbst davon stressen lasse, welcher Druck in mir entsteht den Zeitverzug nicht noch größer werden zu lassen.
Vieles muss ja sein, das sehe ich ein. Aber manchmal gehen auch angenehmere Alternativen.
Ich erinnere das erste EEG, wo ich angewiesen wurde, wie ich ihn zu halten habe, damit die ganzen Pinöppel am Kopf befestigt werden konnten. Die Haltung war für ihn mit seinem Opisthotonus total unangenehm und er hatte anscheinend das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Im Nachhinein habe ich mich über mich selbst und über die MTA geärgert. Beim zweiten EEG wusste ich zum Glück, worauf es ankam und konnte selbst Vorschläge machen. Und so war dieses EEG zwar nicht angenehm, aber machbar.
Ich weiß, dass ich bei Stress so gepolt bin, dass ich oft denke „der Weißkittel hat recht!“. Dann traue ich mich gar nicht zu hinterfragen oder etwas anzumerken. Ich hätte auch beim ersten EEG die Prozedur hinterfragen sollen. Im Endeffekt badet das Herzkind aus, dass ich gegenüber Weißkitteln in Ehrfurcht erstarre.
Ich hänge also quasi hinterher. Bei Untersuchungen und Ärzten die ich kenne, kann ich schon recht gut konstruktiv mitarbeiten. Fragen stellen. Vorschläge machen, die ihm durch das Prozedere helfen.
Das, was mich so anstrengend in diesen Momenten ist die sogenannte „Ambiguitätstoleranz“, die Fähigkeit mit Widersprüchen umzugehen.
Morgen sind wir wieder zur Aufnahme in Aachen. Ich habe keine Ahnung, was da auf ihn und mich zukommt, wenn er in den OP geschoben wird…ich nehme mir vor, vorher Fragen zu stellen. Mich zu informieren. Mich besser vorzubereiten. Weil sonst sehe ich mich wieder danach mit dem Gefühl, versagt zu haben.
Versagen ist hier ein krasses Wort, aber so fühlt es sich an. Ich bin noch (lange) nicht tolerant genug gegenüber dieser Art von Widersprüchen.
Einerseits möchte ich wie eine Löwin die Unversehrtheit meines Babys schützen. ? Andererseits möchte ich natürlich die bestmögliche medizinische Versorgung für das Herzkind, um ihm ein langes und aktives Leben zu ermöglichen. ?
Ich dachte ja, ich hätte Ambiguitätstoleranz bei der großen Schwester geübt. Beim Zähneputzen, Jacke anziehen oder beim Tablet ausmachen. Immer die Kooperation suchend. Kooperationen übend, und zwar beide.
Bis ich Medikamente verabreichen musste. Physio-Übungen turnen musste. Beim Zugang legen das Kind halten musste. Bei EEG, EKG, Ultraschall und Blutabnahme beruhigen musste. Beim Sedieren mit der Atemmaske zusehen musste. Alles Handlungen, bei denen meine Kooperationsbereitschaft keine Rolle spielt.
Ich kann ja nicht sagen „ach, heute lassen wir mal ein Medikament weg!“ oder „Blutabnahme lassen wir heute sein, machen wir morgen!“ oder „willst du die grünen oder die roten EEG Pinöppel!?“
Seitdem hat Ambiguitätstoleranz für mich eine neue Skala erreicht. Und der Kooperationstank ein neues Fassungsvermögen. ?
Während ich nun an der neuen Skala wachse, kann das Herzkind sich schon mal freuen. Denn bei Nr. 2 wird das mit dem Zähneputzen, Jacke anziehen und Tablet ausmachen bestimmt nicht mehr ganz so eng gesehen.
PS: jetzt im Babyalter ist es noch schwierig. Aber sobald es möglich ist, werde ich auch in Untersuchungen dem Herzkind ein gewisses Maß an Selbstbestimmung ermöglichen. Entscheidungen, die das Herzkind treffen darf, müssen da genau so spontan entwickelt werden, wie im Alltag.