Im Kreißsaal schon fiel mir auf, dass das Gesicht vom Herzkind ein bisschen schief aussah. Die Nase war schief und ein Auge viel größer als das andere. Da Kinder aber oft verknautscht auf die Welt kommen, dachte ich mir nichts. Außerdem hat mich dann ja direkt das HELLP Syndrom aus den Latschen gehauen. ??♀️
Bei meinen ersten Besuchen auf der Intensivstation, war schon eine Beatmung in der Nase und eine Magensonde gelegt, die mit einem großen Pflaster auf der, von ihm aus gesehen, rechten Seite fixiert war. Kurzum…ich habe das Gesicht meines Sohnes über 5 Wochen lang nicht „nackig“ – ohne Pflaster, Intubation, Nasenbrille oder Sonde – gesehen.
Uns ist wohl immer aufgefallen, dass wenn oder falls er wach war, das rechte Auge nicht mit blinzelte und im Halbschlaf nicht ganz schloss. Aber ich kann mich auch daran erinnern, dass die große Schwester mit halb offenen Augen schlief und ich hab es so hingenommen.
Zu Hause angekommen, hat das Herzkind zwei Tage durchgeschlafen. Im entspannten Zustand sieht das Gesicht ziemlich symmetrisch aus. An Tag drei kam die erste wirkliche Wachphase und auch kleine Schreiphase. Zum ersten Mal konnten wir sehen, dass das Gesicht des Herzkindes nicht symmetrisch arbeitet.
Ich tat was ich immer tue, mich informieren und Googeln. Und ich fand den Begriff „Fazialisparese“. Teilgesichtslähmung. Hervorgerufen oft durch Quetschungen des Fazialisnervs an der Kopfseite bei ode während der Geburt. Oder durch eine Infektion am Nerv. Kann Babys, Kinder oder Erwachsene treffen. Jederzeit.
Ok, so weit so gut. Es hat einen Namen.
Was mich dann aber echt niedergeschlagen hat, waren Bilder anderer Betroffener. Bei jeder Bewegung des Gesichtes bleibt eine Seite einfach stehen. Beim Gähnen, weinen und auch Lachen. Und schlimmer noch, oft verzieht sich die betroffene Seite des Gesichtes noch, dass es die Mimik noch mehr stört. Und da das Auge bei jeder Mimik geöffnet ist, sieht jeder Gesichtsausdruck ein wenig absurd aus.
Weinend gehe ich ins Bett, lege mich neben den kleinen Mann und entschuldige mich für alles, was wir ihm aufbürden. ?
Am nächsten Tag recherchiere ich weiter. Bilder Betroffener, Foren Betroffener, Spezialisten, Möglichkeiten zur Therapie oder Operation. Alles irgendwie trostlos: entweder wir haben ein riesiges Glück und der Nerv erholt sich wie durch ein Wunder im Verlauf des nächsten halben Jahres oder dem kleinen Kämpfer bleiben nur zwei Alternativen: damit Leben oder eine komplizierte OP in der Nerven und/oder auch Muskelgewebe verlegt werden.
Bis dahin besteht erst einmal ständig die Gefahr, dass das Auge austrocknet und geschädigt wird und damit auch noch Sehkraft verloren geht. ?
Denn, das Auge wird nie geschlossen sein. Nachts wird er wahrscheinlich ein Augenpflaster benötigen. Tagsüber permanent Augentropfen tropfen müssen um das Auge feucht zu halten.
Ich frage mich: Was ist mit Radfahren, im Sand spielen, am Meer den Wind durch die Haare wehen lassen? Tauchen? Alles nur mit speziellem Equipment?
Zu klären ist für mich noch, warum uns die Klinik ohne Diagnose dessen entlassen hat? Ich meine, dass wir Laien das nicht erkannt haben ist eine Sache. Aber dass da niemand auf den Gedanken kommt uns deswegen noch einmal zum Neurologen zu schicken!? Das müssen wir unbedingt beim nächsten Besuch ansprechen. Bis dahin heißt es, von der Kinderärztin vernünftiges Material verschrieben zu bekommen!
Ich dachte bis jetzt, dass wir „nur“ drei OPs am offenen Herzen vor uns haben und der Kleine ansonsten ein normales Leben führen kann. Aber diese Einschränkung ist für Dritte direkt sichtbar, wird ihn tagtäglich bei allem was er tut begleiten und ihn auch praktisch einschränken. Ein Leben lang.
Für mich niederschmetternd. Und es treibt mir jedes Mal Tränen in die Augen, wenn ich daran denke. Und ich denke jedes Mal daran, wenn sich sein Gesicht beim Weinen quer verzieht und er vor lauter Frust nicht einmal beide Augen schließen kann. ?
Ich muss mir eingestehen, dass ich es mir aktuell nicht zutraue, dem kleinen Kämpfer das Selbstwertgefühl mitzugeben welches er braucht, um mit diesem Gepäck durchs Leben gehen zu können. Sich gegen Hänseleien zu wappnen. Das Gerede der anderen Gerede sein zu lassen. Ich traue es mir schlicht und einfach nicht zu. Ich hätte nicht das Selbstvertrauen, so auf die Straße zu gehen. Was muss der kleine Kerl noch alles leisten?
Also, weiter an die vielen lieben Menschen da draußen: Daumen drücken, dass sich die Natur selbst hilft und die Nerven sich erholen! ??