Der Papa hat Herzkind-Schicht. Heute soll versucht werden die ECMO auszubauen. Also wird das wieder ein spannender Tag. Und wieder etwas, auf das wir warten.

Nach dem Frühstück mache ich mit der großen Schwester ein wenig auf dem Zimmer klar Schiff und sauge unter unserem Tisch im Esszimmer. Einmal umziehen ist auch noch dabei, weil sie sich selbst die Hände gewaschen hat und noch ein vorgelesenes Buch. Trotzdem ist es erst 9:45 Uhr, als wir im Spielzimmer ankommen. Spielplatz ist heute keine Option, es ist kalt und regnerisch.

Der Papa schreibt „Alles stabil, noch keiner da!“. Was für ein Kaugummi-Tag!

Die große Schwester entdeckt derweil ungelesene Bücher…die Oster- und Weihnachtsbücher ?

Pünktlich um 10 geht es los im Klinikum…aber mit dem Zimmernachbarn vom Herzkind. Der Papa muss also auch aus dem Zimmer und wartet nun im Elternzimmer auf der Intensivstation.

Im Spielzimmer sind wir inzwischen bei Lego Duplo angekommen. Aber ich gebe zu, ich bin nicht recht bei der Sache. Zum Glück reicht es der großen Schwester, alle Tiere und Figuren zu checken. ?

Mittagessen, Mittagspause im Ronald McDonald Haus …im Klinikum wird weiter an der Sauerstoffsättigung Experimentiert. Seit mindestens 3 Stunden sind sie nun dabei. Der Papa sagt immerhin, dass im Raum immer schön Ruhe herrscht.

Ich pumpe noch einmal Milch ab und schnappe mir dann die große Schwester um den Papa beim „Warten-vor-Ort“ abzulösen.

Noch auf dem Weg zum Klinikum um 15:09 Uhr die Nachricht vom Papa: die ECMO ist ab!

Draußen vorm Klinikum noch „schnell“ einen Corona-Test. (Auch hier sind die 15 Minuten länger als sonst!) während wir warten ruft der Professor an: alles super verlaufen. Brustkorb ist auch zu. Wir können später zu ihm.

Hört ihr die Steine purzeln!? ? 15:52 Uhr dann diese Nachricht an die Familie:

Gefühlschaos trifft es richtig. Jetzt ohne ECMO muss das kleine Herz mit der neuen künstlichen Verbindung zwischen Pulmonalarterie und Aorta den Körper alleine mit Sauerstoff versorgen.

Und nun, wo der Brustkorb zu ist, kann man auch nicht „eben schnell“ noch mal etwas korrigieren!

Aber: wenn er das packt, dann war das heute ein grooooßer Schritt für ihn in Richtung „zu Hause“! Ich bin ein wenig überfordert. ?

Gerade habe ich den Professor und eine Ärztin getroffen und alle waren sooo entspannt. Ich hab mich bei allen bedankt, die ich getroffen habe. Völlig neben der Spur bin ich. So ein bisschen auf Erleichterungs-Droge. Ein gute Gefühl und ich hoffe es bleibt lange!

Ich sitze noch hier im Warteraum und warte, dass ich „richtig“ zu ihm darf. Und während ich warte, höre ich die Alarme aller anderen Monitore. Und mir fällt ein: Oh je! Die können ja jetzt auch wieder bei uns Bimmeln! ?

Außerdem fällt mir noch auf: auch Warten NACH einer guten Nachricht zieht sich wie Kaugummi ?

Endlich an seinem Bett stehen da noch 4 Ärzte und starren auf seine Monitore und das Ultraschall-Gerät mit dem sie noch mal alles checken. Die Röntgen-Giraffe ist auch schon wieder im Anmarsch. ABER: kein Piepen!!

Die nächsten 24 Stunden sind entscheidend sagen die Ärzte.

Auch in den zwei Stunden danach in denen ich leicht Glücks-Benommen neben ihm stehe, kommt keinmal das Piepen.

Ich gehe zum Milch-Pumpen und Abendessen nach Hause und danach darf mein Mann sich neben das Herzkind setzen und überlegen, was da in den letzten 5 Tagen passiert ist.

Wenn ICH darüber nachdenke, weiß ich jedenfalls, warum ich Sooo müde bin. ?

Erster Tag ohne ECMO

Als ich morgens in sein Zimmer komme, denke ich es wäre Visite, so viele Ärzte und Pfleger wie an seinem Bett stehen. Der Professor löst sich aus der Gruppe, kommt auf mich zu und sagt: „Es sieht nicht gut aus.“ Die 24 Stunden sind noch nicht rum.

Mir wird heiß und schwummrig und ich muss mich setzen. Die Worte kommen an wie im Nebel.

Die Werte hätten sich verschlechtert. Die Durchblutung des Körpers läuft nicht so an, wie sie es sich erhofft hatten und wie es am Vorabend auch gestartet ist.

Es ist ca. halb 10. Die Ärzte schauen Werte an, diskutieren Möglichkeiten. Dann die Entscheidung des Professors: bis 11 Uhr solle noch versucht werden die Werte zu stabilisieren. Wenn das nicht klappt, wird die ECMO wieder angeschlossen. Zu groß ist sonst das Risiko, dass die Organe nicht genug Sauerstoff bekommen.

Die gute Stunde sitze ich neben meinem Herzkind und rede ihm gut zu. Dass die Ärzte ihm helfen, dass es ihm bald besser geht. Dass wir alle uns auf ihn freuen. Dass seine Schwester sich auf ihn freut. Dass er noch einmal kämpfen soll, um noch mal auf einen Aufwärtstrend zu kommen. Klingt in meinen Ohren alles sehr egoistisch. Also erzähle ich ihm von tollen Spielplätzen. Vom Rutschen. Vom Ballspielen. Und ich streichle mechanisch die freien Stellen an seinem kleinen Körper.

Um 11 Uhr sind wie verabredet wieder alle da. Ärzte, mobiles OP Team, Anästhesie. Der Raum ist voll. Der Professor entscheidet sich gegen die ECMO und stattdessen für eine „Peritonealdialyse“. Eine Dialyse über die Bauchdecke. Was es nicht alles gibt. Dazu ist wieder ein kleiner Eingriff notwendig.

Ich habe keine Ahnung was das ist, werde aber aus dem Zimmer geschickt wegen des Eingriffs. Wenn ich durchs Fenster des Zimmers schaue, sehe ich das kleine OP Team an ihm arbeiten. Ich gehe ins Elternzimmer. Nervös warten, Milch abpumpen, nervös weiter warten.

Zu allem Unglück funktioniert heute das WLAN auf der Station nicht. Will ich den Papa mit Neuigkeiten versorgen, muss ich runter von der Intensivstation auf den Flur zum nächsten Fenster und danach wieder Klingeln um auf die Intensivstation zu kommen.

Wenigstens hält es mich davon ab zu googeln, was die Ärzte da gerade machen. Die Nachfrage beim Pfleger ergibt: es läuft nun eine Flüssigkeit in und an das Bauchfell des kleinen Kämpfers. Und wenn man dies nach einiger Zeit wieder „ablässt“, werden so auch die Schadstoffe aus dem Körper gespült. Alles in der Hoffnung, den kleinen Körper größtmöglich zu Unterstützen bei der Erholung von den Eingriffen. Denn sein eigenes Herz schlägt zwar, ist aber mit all dem eingelagerten Wasser überfordert.

Mit dieser Maßnahme ist für DIESEN Moment die ECMO wieder etwas weiter weggerückt, aber noch längst nicht vom Tisch. Es ist auch weiterhin ernst. Das sieht man an den angespannten Gesichtern der Ärzte und auch an der Anzahl der Personen in unserem Zimmer.

Mich macht es nervös, dass die Entwicklungen „nach oben“ oder „nach unten“ so nah aneinander liegen. Auch zeitlich gesehen. Die Freude über einen Schritt in die richtige Richtung ist noch da, da geht es auch schon wieder einen oder zwei Schritte zurück.

Und so frage ich mich gerade, ob ich mich freuen soll, dass die ECMO noch nicht wieder dran ist, oder ob die Freude gleich schon wieder von einem anderen Rückschritt getrübt wird. ?

Ich nutze den „Rausschmiss“ für einen Schichtwechsel mit dem Papa. Der meldet nachmittags in regelmäßigen Abständen ein „noch stabil, sie schauen von Stunde zu Stunde“. Ich bin einfach nur froh, dass wir uns bei diesem Krimi abwechseln können und versuche auf dem Spielplatz mit der großen Schwester abzuschalten.

Als ich dann nach dem gemeinsamen Abendessen um 19 Uhr wieder an seinem Bettchen stehe, hat der kleine Kämpfer endlich wieder „Babyfarbe“. Anstatt auf die Monitore schaue ich in die Gesichter der Ärzte und Pfleger und ich sehe „leichte Entspannung“. Und langsam, ganz langsam fange ich auch wieder an entspannter zu atmen.

Ein Arzt ist seit heute morgen fast ununterbrochen an Herzkinds Bett. Ich frage ihn, ob er heute schon gesessen, gegessen und getrunken hat. Dann leg ich ihm die Hand auf die Schulter und sage aus tiefstem Herzen „Danke“. Er hat den ganzen Tag mit und für das Leben unseres kleinen Herzkindes gekämpft.

Die Ärztin der Nachtschicht ist längst da. Sie hat das gleiche Ansinnen wie ich und schickt den unermüdlichen und liebenswerten Arzt nach Hause. Und als er lächelnd geht hinterlässt es bei mir ein warmes Gefühl der Erleichterung und Dankbarkeit.

Aber alles ist nur eine Momentaufnahme. Das weiß ich. Das wissen alle da. Und die heutigen Morgenstunden haben es ganz deutlich wieder gezeigt.

Ich stehe weiter am kleinen Bett und unterhalte mich mit Pfleger Tim. Dann darf ich die freien Stellen mit Bepanthen pflegen. Ich eskaliere leicht mit der Creme, er glänzt überall da, wo keine Pflaster und Zugänge sind…aber ich arbeite den ganzen Abend die Creme in die gestresste Haut ein. Mensch, tut das gut ihm selbst was Gutes tun zu können! ?

Inzwischen ist es 21:45 Uhr und ich traue mich nicht zu gehen. Gestern um diese Zeit war er auch „stabil“. Und zwischen dem stabil gestern und dem stabil heute liegen Turbulenzen, die ich wirklich niemandem Wünsche. ?

2 Comments

  1. Norma 31. Mai 2022 at 18:57 - Reply

    Liebe Claudia, ich sende dir/euch ganz viel Kraft!!!

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