Liebe Marion, wir beginnen mit der Standard Frage: Welche Diagnose hat dein Baby bzw. dein Kind?

Unser Sohn hat einen Shone Komplex. Das unterscheidet sich zwar von einem klassischen hypoplastischen Linksherzsyndrom, jedoch wird er genauso operiert.

Das bedeutet, er ist auf dem Weg zu einem univentrikulären Herzen.

Zum Nachschlagen:

Shone komplex

Wann hast du die Diagnose erhalten? Noch in der Schwangerschaft oder nach der Geburt?

Wir haben die Diagnose 3 Tage nach seiner Geburt erhalten.

Hast du dich bewusst für das Kind entschieden, oder hat einfach das Leben entschieden?

Somit hat das Leben entschieden :). Wir wären den Weg jedoch genau so gegangen, wenn wir in der Schwangerschaft davon erfahren hätten.

Magst du uns erzählen, wie die Diagnose(n) festgestellt wurden und ob sie sich im Laufe der Zeit verändert haben?

Zwei Tage nach seiner Geburt habe ich den Rettungsdienst gerufen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er eine auffallend schnelle und ruckartige Atmung.

Wir wurden sicherheitshalber mitgenommen, da ein Infekt ausgeschlossen werden sollte.

Am nächsten Morgen habe ich die Diagnose „Herzfehler“ erhalten. Das Ausmaß dieses Fehlers sollten wir tatsächlich erst nach der ersten Operation erfahren. Die Komplexität des Herzfehlers war zwar bekannt, jedoch waren sich die Ärzte anfangs sicher, dass die Erweiterung des Aortenbogens – welche in der ersten Operation erfolgte – ausreichen wird.

Wie war das bei dir und in deiner Familie nach der Diagnose? Magst du uns erzählen, wie du dich gefühlt hast? Wie bist du damit umgegangen?

Noch vor der Diagnose bin ich morgens in einem Tränenmeer laut weinend  in meinem Krankenhausbett aufgewacht. Als hätte ich gespürt was kommt.  Es war merkwürdig.

Rückblickend erinnere ich mich an wenig Luft und durchweichte FFP2-Masken. Einen tollen Arzt, der immer wieder sagte: Sie haben nichts falsch gemacht, das ist eine Laune der Natur. Eine Seelsorgerin, die ich am liebsten zum Mond geschlossen hätte und diese lähmende Hilflosigkeit.  Ich erinnere mich an dieses Gefühl, als mein Baby, das bis am Abend zuvor noch Haut an Haut auf mir lag, in einem Kasten davon gebracht wurde.

Wie ist bei euch das Leben nach der Geburt gestartet? Intensivstation? Krankenhaus? Wie sah euer Leben aus, wie habt ihr euch organisiert?

Ich erinnere mich nicht mehr, an das erste Mal Klingeln auf der Intensivstation. Ich erinnere mich aber an die Autofahrt dahin und das endlose Warten. Endlich kam jemand. „Ihr PCR-Test von gestern ist positiv“, hörte ich die Schwester sagen. Mir fehlen die Worte das zu beschreiben, was dann passierte und was all das mit meinem Baby und mir – als Mama die gerade frisch entbunden hatte – machte.

Viele Stunden später durfte ich zu ihm.  Ein weiterer PCR-Test am Abend brachte ein negatives Ergebnis, meine Quarantäne wurde aufgehoben. Während der Buchszeiten durfte ich wieder bei ihm sein. Nachts habe ich während des Abpumpens auf der ITS angerufen um zu hören, wie es ihm geht. Da wir nicht weit von der Klinik entfernt wohnen, hatten wir kein Zimmer vor Ort.

Samu wurde 2 Tage später operiert. Sein Herz funktionierte jedoch weiterhin nicht so wie es sollte, die Extubation missglückte. Eine weitere Herz-OP folgte als er gerade 14 Tage alt war.

Obwohl diese OP der erste Schritt in Richtung Einkammer-Herz war, hatte die linke Seite noch weiterhin 6 Monate Zeit nachzuwachsen. Dies tat sie leider nicht.

27 Tage nach seiner Geburt zogen wir endlich gemeinsam auf die Normalstation: 27 weitere Tage Achterbahn-Fahrt, 27 Tage Zeit das Kuscheln nachzuholen.

1, 5 weitere Monate verbrachten wir dort. In dieser Zeit habe ich meine beiden anderen Kinder kaum gesehen.

„Das ist lang, aber es geht noch länger“ schrieb mir eine Mama aus einer Herzchen-Gruppe.

Samuel hatte Sättigungsabfälle, für die es keine Erklärung gab.

Wir wurden entlassen, als wir kurz davor waren uns selbst zu entlassen.

Die nächsten Monate waren kritisch und anstrengend. Samuel wurde mit Sauerstoff und Monitor entlassen. Zwei Katheter-Untersuchungen in dieser Zeit. Zunächst mussten wir alle zwei Wochen für 24 h stationär aufgenommen werden. Mit 6 Monaten folgte seine 3. Herz-OP (und der 2 . Schritt in Richtung Einkammer-Herz.)

Während des ersten Monats auf der ITS hatte mein Mann  Elternzeit. Wir wechselten uns mit der Betreuung der Mädchen zu Hause und der Zeit an Samuel Bettchen ab. Zudem hatten wir unfassbar große Unterstützung von Freunden und der Familie und ganz besonders von meiner Mama. Als ich auf die Normalstation zog, war mein Mann als „Haushaltshilfe“ bei den Mädchen zu Hause. Sie in guten Händen und gewohnter Umgebung zu Wissen war eine große Erleichterung.

Wie hast du nach der Diagnose wieder zu dir gefunden, was hat dir geholfen? Wie lange hat das in etwa gedauert?

Rückblickend hat es etwas über 6 Monate gedauert, bis es wirklich aufwärts ging. Erst als die dritte OP überstanden war und wir schon nach 9 Tagen ohne Sauerstoff, ohne Monitor und mit nur 2 Medikamenten, nach Hause durften, spürte ich eine riesige Erleichterung. Zum ersten Mal wurde mir klar, was wir da die letzten Monate mit Hilfe unserer Freunde und der Familie geleistet haben.

Kannst du uns sagen, was für dich das Schwierigste war, in der Zeit nach der Diagnose? Wie bist du damit umgegangen?

Das Schwierigste war und ist die direkte Konfrontation mit Vergänglichkeit. In diesem Fall, der Vergänglichkeit des eigenen Kindes – oder nennen wir es beim Namen: dem möglichen Tod des eigenen Kindes. Ich wusste, dass ich mit der Angst davor ins Reine kommen muss.

Ich denke, Heilung brachte mir eine Mischung aus Reden (hauptsächlich mit anderen Betroffenen), Zuhören, Schreiben und die Zeit selbst –  die aus dem Baby mit den Schläuchen von letztem Jahr, einen glücklichen, aufgeweckten und wirklich großen und stabilen kleinen Bub gezaubert hat. Ihn so zu sehen, repariert so vieles in mir.

Gibt es Träume und Vorstellungen, von denen du dich durch die Diagnose komplett verabschieden musstest? Wie war das für dich?

Die Anfangszeit, das richtige Kennenlernen und Eingewöhnen in das Leben als 5-köpfige Familie musste ich verabschieden und natürlich auch mein Wochenbett, meine Erholung nach der Geburt.

Meine Träume vom Auswandern, habe ich auf Eis gelegt und auch größere Reisen sind für mich derzeit keine Option.

Seid ihr jetzt „durch“ oder stehen noch OPs oder Therapien an? Gibt es Therapien, die dauerhaft bleiben?

Es steht noch eine weitere Operation zum Fontan-Kreislauf aus. Dies ist ein palliativer Weg.

Kontrollen und Medikamente werden sicher ein Leben lang bleiben.  Zum Thema Lebenserwartung kann nicht viel gesagt werden.

Gibt es etwas, dass du Frauen mit in deiner damaligen Situation mit auf den Weg geben möchtest?

Oh, so viel :-).

Noch heute wird Eltern nach der Diagnose HLHS in der Schwangerschaft oft zu einem Abbruch geraten. Da kann ich überhaupt nicht mitgehen. Wie könnte ich auch?! Jeden Tag habe ich mein inzwischen 1-jähriges Wunder vor Augen. Ich sehe die Freude und die Liebe fürs Leben in seinem Lachen und staune täglich über seine Fortschritte und darüber, wie fantastisch es ihm heute geht.

Natürlich wissen wir nicht, ob es so bleibt . Wer weiß das schon?

Niemals hätte ich mir das alles vorher ausmalen können, ohne mir sicher zu sein, dass ich das nicht kann. Das wir das nicht können, als Paar und Eltern und sicher hätte ich mir auch ausgemalt, dass die Geschwister daran zerbrechen.

Und natürlich mag ich nicht lügen, es war oft bescheiden und wird es auch sicher immer mal wieder sein. Die Operationen sind kein Spaziergang, die Zeit danach selten einfach.

Trotzdem sehe ich das als eine Herausforderung, die uns das Leben geschenkt hat. An der wir wahrlich gewachsen sind und weiter wachsen werden.

Unser Leben ist im Moment schon recht nah dran an „normal“. Eine Garantie dafür gibt es nicht, aber die Chance, dass es so kommt, ist auf jeden Fall gar nicht so klein heutzutage.

Auch ihr schafft so viel mehr als ihr denkt und auch die Geschwister-Kinder sind meist so viel stärker, als wir das erwarten.

Unsere Herzchen sind ein Geschenk und ein Abenteuer, ein Reminder an uns, das Leben im Hier und Jetzt zu leben. Eine Erinnerung daran, wie stark wir selbst auch sind . Der Mut lohnt sich auch wenn der Weg ungewiss ist. 

Und: ihr dürft auf eure Stimme hören. Das betrifft die Diagnose aber auch die Zeit im Krankenhaus. Es ist wichtig, dass ihr eure Stimme einsetzt um nachzufragen oder für euer Kind und für euch einzustehen. Holt euch zweite Meinungen ein oder bittet um Bedenkzeit, wenn ihr euch unsicher seid. Gönnt euch die Pausen, die ihr braucht und sorgt auch für euch selbst. Versucht kein schlechtes Gewissen dabei zu haben. Euer Herzchen  (und natürlich auch die anderen Familienmitglieder) brauchen euch im best möglichen Zustand.

Du berichtest auch öffentlich über eure Geschichte, wo kann man noch mehr von euch lesen?

Auf meiner Instagram-Seite. Die ist aber noch ausbaufähig;).


Liebe Marion, vielen Dank, dass du eure Geschichte mit uns teilst! Ich liebe alles an diesem Erfahrungsbericht. Die schonungslose Ehrlichkeit und die tiefgründige Offenheit. Ich habe mich in vielen deiner Sorgen, Ängste, aber auch Erkenntnisse wiedererkannt und denke, dass sich auch viele andere Mamas hier wiederfinden werden und Halt finden!

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