Wir warten mal wieder im Wartebereich der Pränataldiagnostik. Wobei das „wir“ passt nicht zum „mal wieder“, denn es gibt eine Sondergenehmigung, dass jemand bei der Untersuchung dabei sein darf, also wartet der werdende Papa mit mir. Dieses Mal kommt auch der Professor der Kinderkardiologie hinzu. Wir schweigen uns an und jeder versucht sich mit einer entsprechenden Handylektüre bestmöglich abzulenken.

Wartezimmer vor der Präanataldiagnostik. Warten auf den Kinderkardiologen
Wartezimmerfußboden aus der Vogelperspektive

Wenn ich hier jetzt so sitze wird mir klar, dass die Zeit des Wartens doch noch eine recht schöne war. Aufgrund der Ungewissheit, was uns genau bevorsteht, hatte ich so einige Strohhalme, an denen ich mich festklammern konnte. Und nun kann ich mir den Wunsch, endlich zu wissen woran wir sind, nicht mehr erklären. Denn es kann sein, dass mir diese letzten Strohhalme auch noch genommen werden. Wie naiv ich doch war, diesen Termin herbeizusehen. ?

Zum Glück schaltet mein Verstand wieder in eine Art Trance. Aufgerufen werden, Ultraschall an und dann kam auch der Professor der Kinderkardiologie und eine seiner Oberärztinnen, um sich ein Bild vom Herzen unseres Herzkindes zu machen.

Untersuchung des Kinderkardiologen

Die Stimmung war ruhig, sachlich, emphatisch und geprägt von Fachsimpelei. Unterbrochen von kleinen Diskussionen um „ist das jetzt die rechte oder die linke Herzkammer“, weil der zukünftige Junior irgendwie nicht einsah, dass still liegen bleiben für uns bessere „Sicht“ bedeutten würde und die Pränataldiagnostikerin immer wieder „übersetzen“ musste. Denn sie hatte ja den Schallkopf in der Hand und „verfolgte“ damit unseren Junior.

Um das mal für euch zu übersetzen: Das Herz hat bei der Geburt die Größe einer Walnuss, also momentan eher die Größe einer Erbse. Diese Erbse findet die Pränataldiagnostikerin mittels Ultraschall in meinem Bauch (Allein das ist für mich völlig unverständlich).
Und dann finden sie noch die verschiedenen Herz-Kammern IN der Erbse, die zugehörigen Gefäße und deren Klappen UND erkennen, was davon richtig und was davon nicht richtig entwickelt ist. Abgesehen davon, dass es sich um das Herz meines ungeborenen Kindes handelt ist das alles wahnsinnig faszinierend und spannend!

Diese für mich noch echt entspannte Ebene der sachlichen Distanz verließen wir dann, als es zur neuen vorläufigen Diagnose kommt.

Ergebnis des Kinderkardiologen: Das Herz hat nicht 4 angeschlossene Gefäße mit zugehörigen Klappen, sondern nur drei. Das Gefäß, welches von der rechten Herzkammer zur Lunge führen soll, entspringt leider nicht der Herzkammer, sondern der Aorta. Dazu gibt es das für fast alle Herzfehler typische Loch zwischen den Herzkammern, welches dem Herzen einen Blutkreislauf trotz der Fehlverbindung ermöglicht. (Der Herzfehler heißt „TAC“ von Truncus Arterious Communic.)

Die vorläufige Diagnose

Was bedeutet das? Das bedeutet, dass das Herz nach der Geburt sauerstoffarmes und das sauerstoffreiches Blut vermischt und gleichermaßen Richtung Körper und Richtung Lunge pumpt. Damit kommt zu viel Druck in der Lunge an und zu wenig Sauerstoff im Körper. Die Kinder mit so einem Herzfehler werden immer schlapper und irgendwann wird der Körper nicht mehr mit ausreichend Sauerstoff versorgt, wenn man keine Korrektur vornimmt. Es wird mit der Zeit immer mehr typische Anzeichen einer Herzinsuffizienz (Herzschwäche) zeigen. Eine OP ist unumgänglich.

Die Korrektur ist eine Herz-OP mit allem Pipapo. Öffnen des Brustkobes. Herz-Lungen-Maschine. Korrektur der verlaufenden Gefäße. Verschließen des Kammern-Septum-Defektes. Einbau einer neuen Klappe für das neue Gefäß in Richtung Lunge. Damit kann die Funktion des Herzens vollständig wiederhergestellt werden und das Kind kann nach der OP – mit kleinen Einschränkungen – ein ganz normales Leben führen!

Und dann der Haken, den ich uns gerne erspart hätte und der einer der letzten Hoffnungsschimmer und Strohhalme war. Ich hatte auf eine EINMALIGE OP gehofft. Einmal reparieren und „fertig“.

Doch leider wird die Klappe irgendwann zu klein sein. Eine neu konstruierte Klappe, die zu einem Walnussgroßen Herz passt, wird in den ersten 5 Lebensjahren irgendwann zu klein sein, denn sie wächst ja nicht mit. Daher ist eine zweite OP zwischen Kleinkind- und Vorschulalter vorprogrammiert und eine dritte im späten Jugendalter sehr wahrscheinlich.

Der Kinderkardiologe kommt mir nicht vor, wie ein Professor. Er erklärt uns sehr empathisch und sachlich den Stand der aktuellen Untersuchung. Ich fühle mich sehr aufgehoben und gesehen! Zum Glück!

Ein Strohhalm bleibt!

Ein anderer dicker Strohhalm ist mir aber – zwar sehr verknickt und verknitter, aber immerhin – geblieben. Und das ist der, dass eine spontane Geburt für alles, was danach kommt, für das Kind das beste wäre. Verknittert ist der Strohhalm, weil ich mir nach der Geburt noch ein wenig Zeit mit dem kleinen Kämpfer gewünscht hätte. Aber er wird sofort auf die Intensivstation verlegt und gründlich untersucht. Also kein 24/7 Bonding-Start. Stattdessen Trennung von Mama und Baby nach der Geburt. ?

Aber mir bleibt die Hoffnung auf Stillen während der Besuchszeiten auf der Kinderintensivstation. Auch wenn er zu schwach sein wird um sich sattzutrinken, ist das doch ein Strohhalm, an den ich mich klammere. Denn auch wenn es nur ein Nuckeln ist, so ist Stillen doch so viel mehr als nur Nahrungsaufnahme! Und das wird uns beiden, also Mama und Kind, wahnsinnig weiterhelfen.

Zu Hause kreisen die Gedanken

Nach der Untersuchung und dem Gespräch bin ich einfach nur froh, nicht das Auto fahren zu müssen. Allein wenn ich mir vorstelle, dass das Kind direkt nach der Geburt von mir getrennt wird. Dass ich es erst wieder sehen kann, wenn ich es kräftemäßig von der Gynäkologie in die Kinderklinik schaffe. Und wenn ich dann denke, wie viele Schläuche dann an meinem kleinen Kämpfer angebracht sind. Oder wenn ich dann noch daran denke, dass ich am Ende der Besuchszeit mein frisch entbundenes Baby auf der Intensivstation zurücklassen muss.

Ich weiß jetzt schon, wie oft mein Mutterherz in den ersten Tagen und Wochen brechen wird. Und dennoch bin ich froh, mich mental auf diese Situation vorbereiten zu dürfen.


Herzens-Buchempfehlung für (mentale) Vorbereitung und die Zeit in der Klinik: „Wenn das Leben intensiv beginnt“ von Susanne Bürger (affiliate link)


Wissenswertes über angeborene Herzfehler

Wusstest du, dass der Snowboard-Olympiasieger Shawn White einen komplexen angeborenen Herzfehler hat?  Das macht uns persönlich Hoffnung, außer, dass Mettmann über wenig Schnee und noch weniger Snowboard-Leistungszentren verfügt. ;-) (Update Februar 2022: Dreimal gewann White Gold bei Olympia (2006, 2010, 2018), in Peking verpasste er es, als erster Athlet Gold bei vier verschiedenen Spielen zu holen.)

Wusstest du, dass ca. bei jedem 100. Baby ein angeborener Herzfehler festgestellt werden kann? Nicht alle sind so gravierend, wie der unsere. Viele verwachsen von alleine oder können mit Medikamenten oder Minimal-Invasiv korrigiert und geheilt werden.

Wusstest du, dass es erst „seit neuestem“ Erwachsene mit angeborenem Herzfehler gibt? Ich löse den Knoten in deinem Kopf. Die ersten vereinzelten OPs an Kinderherzen wurden Ende der 60er durchgeführt. Seitdem wurde ein wahnsinniger medizinscher Fortschritt erzielt! Aber das heißt auch, dass bevor dieser Fortschritt erzielt wurde, Kinder mit derartigen Herzfehlern keine Chance auf ein (langes) Leben hatten.

Zum Beispiel heißt es in manchen Studien, dass 90% der Kinder 25 Jahre alt werden. Das bedeutet nicht, dass sie nicht noch viel älter werden können! Aber die Studie läuft eben erst seit 25 Jahren!

Und es gibt nicht viele Kardiologen, die eine Weiterbildung für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern haben. Denn: diese Weiterbildung ist ebenfalls recht neu!

Es bleibt spannend!


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