Das höre ich schon zum 5. Mal.
„Äääääh, ja.“ lautet meine Antwort dann. Denn sachlich betrachtet ist die Beobachtung richtig, also „ja“.
Während des „Ähhhh“ läuft in meinem Kopf folgende Gedanken-Kaskade ab:
„Farbe bekommen sagt man doch, wenn man braun geworden ist, also sonnengebräunt braun. Denkt er/sie tatsächlich, dass unser 4 Monate altes Baby sonnengebräunt ist!? Und denkt er/sie dann echt, dass das gut und gesund wäre!??? Puuuh.
OK. Wie viel Zeit habe ich? Ach, nicht genug. Nicht genug Zeit um zu erklären, dass bedingt durch den Herzfehler der Kämpfer eine echt geringe Sauerstoffsättigung hat. Und dass Blut und Haut nur dann schön hell und rosig erscheint, wenn genug Sauerstoff im Blut ist. Blut mit weniger Sauerstoff wird bläulich oder violett…was wiederum die Haut dunkler erscheinen lässt.“
Deswegen schließe ich dem „Äääääh“ ein „ja“ an und bestätige damit einfach die objektiv richtige Beobachtung.
Unsere Zyanose
Ja. Der Junge hat Farbe bekommen. Die Sättigung liegt nicht mehr bei Ende 80 sondern bei Anfang 80. Zyanose ist der Fachbegriff für die Verfärbung und den fehlenden Sauerstoff.
Ich beobachte, dass er beim Stillen nun manchmal schwitzt. Dass er beim sich ärgern oder dem großen Geschäft manchmal noch blauer wird. Dass er oft aus der Puste ist, vor allem beim Stillen und bei der Physio.
Und all das macht mir Sorgen. Eigentlich. Und eigentlich auch nicht, denn jetzt passiert das, was „geplant“ war: er wächst aus dem Shunt heraus. Die zusätzliche Verbindung von Aorta zur Pulmonalarterie wird zu eng.
Bei der Shunt-OP hat er die neue zusätzliche Verbindung bekommen. Die Verbindung, die den kleinen Kämpfer mit sauerstoffreicherem Blut versorgen sollte. Damals hatte sie noch nicht die optimale Größe für seinen kleinen Körper. Erst beim Abbau der ECMO konnte die perfekte Größe gefunden werden. Der Shunt wurde durch eine Klammer verkleinert und war so für ca. 3,5 Kilo Körpergewicht ausgelegt mit einer Sauerstoffsättigung bei knapp 90%.
Und nun haben wir sagenhafte 5 kg Körpergewicht! Ein Grund zum feiern! Denn das so schnell hinzubekommen obwohl wir „nur“ Stillen ist hervorragend. Viele Herzkinder bekommen hochkalorische Flaschennahrung um zuzunehmen.
Aber es bedeutet auch, dass wir ca. die Hälfte des Weges zur Korrektur-OP hinter uns haben. Und dieser Meilenstein bedeutet, dass bald ein Herzkatheter ansteht.
Next Step: Herzkatheter
Beim Herzkatheter werden die Pulmonalarterien angeschaut, was die so leisten können. Und dann wird die Klammer, die den Shunt von außen verkleinert, von Innen aufgedrückt und damit der Durchfluss erhöht wird und somit auch – so der Plan – seine Sauerstoffsättigung wieder steigt.
Und mit der wieder höheren Sauerstoffsättigung, müssen wir dann den Rest des Weges bis zur Korrektur-OP auskommen. Und so groß und schwer werden, wie es mit dieser verringerten Sauerstoffsättigung überhaupt möglich ist. Alles, damit die Chancen für die Korrektur-OP besser sind, als sie es damals bei der Shunt-OP waren.
In meinem Kopf spielen sich schon Krankenhaus-Abläufe ab und es kommen Fragen hoch wie: bekomme ich den kleinen Mann mit der ganzen Kabellage gestillt? Wie beruhige ich ihn, wenn er nur im Bett liegen kann/darf? Wie bekomme ich die Zeit rum, ohne Tragetuch, Pezziball und Liegend-Stillen?
Fest steht: der nächste Besuch in Aachen ist mit Aufenthalt. Mit Sedierung. Mit Zugang am Kopf. Mit minimal invasiver OP. Ich muss den kleinen Kämpfer an der Tür zum Katheter-Raum abgeben. Meinen kleinen 4 Monate alten Sohn. Drückt sich euch auch der Hals zu?
Ich merke, wie weit ich das gedanklich alles von mir geschoben hatte. Wir haben ewig Zeit, dachte ich. Und manchmal hab ich es fast verdrängt…dass mein Baby immernoch einen Herzfehler hat. Einen Herzfehler, der ohne Korrektur lebensbedrohlich ist.
Das mulmige Gefühl ist zurück
Und so warten wir jetzt auf einen Anruf des Uniklinikums und den Termin für den Herzkatheter. Irgendwann in den nächsten zwei Wochen wird es sein. Und damit findet ein Ereignis statt, welches uns die Realität vor Augen hält: dieses Jahr steht nicht nur dieser minimal invasive Herzkatheter statt, sondern auch noch die komplette Korrektur-OP am offenen Herzen.
Und während ich diese Sätze schreibe merke ich, wie mein Hirn das als völlig surreal annimmt und mein Verstand das irgendwo in die hinterste Hirn-Ecke schiebt…wahrscheinlich bis er kommt, der Anruf.
Bis dahin überlegen wir, wie wir es dieses Mal organisatorisch lösen. Was jeder von uns vieren braucht, um den Herzkatheter und den Krankenhausaufenthalt bestmöglich zu wuppen. Und was wir schönes danach machen. Wenn der kleine Kämpfer für einige Zeit wieder super Sauerstoff-Werte hat, bevor wir erneut aus dem Shunt herauswachsen und der dann nächste große Meilenstein ansteht: die Korrektur-OP.