So nervös wir wegen der bevorstehenden OP für die Herzkorrektur auch sind, irgendwie schwingt trotzdem ein wenig „Neuanfang“ mit.
Unkorrigierter angeborener Herzfehler ist nicht gleich unkorrigierter angeborener Herzfehler. Jedes Kind welches VOR der einer großen Korrektur-OP ist, hat einen anderen Status. Viele brauchen auch nicht DIE EINE Operation am offenen Herzen, sondern in bestimmten Abständen eine bestimmte Abfolge von verschiedenen Operationen. Einige Herzkinder sind danach „Herzgesund“, andere wiederum sind in einem sogenannten palliativen Status. Sie können zwar mit ihrem Herzen gut Leben, sind aber weniger leistungsfähig.
Unser Herzfehler: DORV
Unser unkorrigierter Status sieht so aus, dass beide aus dem Herzen führenden Gefäße, also Pulmonalarterie und Aorta der rechten Herzkammer entspringen, was dem Herzfehler seinen Namen gibt: Double Outlet Right Ventrikel oder DORV.
Damit bei diesem Herzfehler in Lunge und Körper genug Blut mit Sauerstoff ankommen, hat der kleine Kämpfer seit seinem 11. Lebenstag einen sogenannten Shunt. Zusätzlich zum Loch in der Herzscheidewand (VSD, Ventrikelseptumdefekt) ist damit eine Verbindung zwischen Pulmonalarterie und Aorta geschaffen worden, die den Blutkreislauf unterstützt.
Anstatt, dass das Blut „sortiert“ aus dem Herzen kommt, also sauerstoffarmes Blut in die Lunge und sauerstoffreiches Blut in den Körper, mischt sich beim Herzkind das Blut in den beiden vorderen Herzkammern. Es kommt sauerstoffarmes Blut aus dem Körper und mischt sich mit dem sauerstoffreichen Blut aus der Lunge. Genau hier entsteht seine Sauerstoffsättigung, die auch im Körper ankommt von aktuell ca. 85%.
Hier kommt noch unser „Glück im Unglück“ ins Spiel. Das Herzkind hat zusätzlich noch eine Pulmonalstenose, eine Verengung (Stenose) der Herzklappe zwischen rechter Herzkammer und Lungenkreislauf. Warum ist das Glück? Das Herz pumpt gerade mit gleichem Druck Blut Richtung Körper und Lunge. Wäre keine Verengung da, wäre der Druck auf die Lunge zu groß! Daher heißt unser Herzfehler auch DORV Typ Fallot.
Unser Leben mit dem Herzfehler
Zum Glück ist dieser Herzfehler keiner, der akutes Eingreifen benötigt. Wir haben also keinen (dauernd und auch mal falsch piepsenden) Monitor zu Hause und auch keine Sauerstoffflasche im Kinderwagen! Puh!
Aber wir haben eine Latte von Medikamenten zu geben, die das Herz und den Blutkreislauf entlasten. Von anfangs 9 täglichen Medikamentengaben sind wir inzwischen auf nur noch 5 herunter. ??
Das bedeutet nur noch 5 Mal täglich das aufpulen einer Medikamentenkapsel und das Aufziehen in einer 3 ml Spritze. Und auch nur noch 5 Mal das milliliterweise einflößen der Medikamente in die Wagentasche des Herzkinds, damit es sich nicht verschluckt. Er verschluckt sich aber trotzdem immer und schreit bei dieser Prozedur. Wir feiern jedes Medikament, das wir absetzen können! ??
Die geringe Sauerstoffsättigung hat auch zur Folge, dass der Kleine permanent angestrengt ist und selbst kleine Anstrengungen ihn aus der Puste bringen. Nach einer Physio-Übung pustet er wie nach einer 100 m Sprint und wir müssen immer warten, bis wir die nächste Übung machen.
Die permanente Anstrengung macht ihn auch ziemlich unzufrieden. Morgens ist er noch fit und ausgeglichen. Aber nach dem Mittagsschlaf ist der Tag eigentlich fast gelaufen. Die Zeit, die er entspannt wach ist und die er für seine Entdeckungen und Entwicklungen bräuchte, ist also sehr begrenzt!
Entsprechend groß ist seine Entwicklungsverzögerung. Noch kann er nicht die Hand in den Mund nehmen oder seine Hände in der Körpermitte zusammenführen…und damit sind wir noch nicht so weit, dass wir die U4 „bestehen“ würden, obwohl die U5 bereits ansteht.
Unsere Aufgabe nach der Entlassung aus der Klinik im Juni war es, so gut es geht zu gedeihen. Wir haben seitdem die 5 kg Marke geschafft und uns wird immer wieder ein guter Allgemeinzustand bescheinigt. Und das „obwohl wir stillen“. ??
Eigentlich bestand meine Vorbereitung und Vorstellungskraft nur für diese erste Phase bis zum großen Meilenstein der Korrektur-OP. Die Devise: Durchhalten und Stillen managen, so dass er möglichst bis zur OP voll stillen kann. Trotzdem habe ich viele Hilfsmittel zu Hause die unterstützen könnten, wenn er zu schlapp zum stillen geworden wäre.
Status unkorrigiert heißt also: Stillen klappt gerade noch, aber er nimmt nicht zu. Physio schafft er nicht alles, ist zu schlapp und überall marmoriert. Dicke Socken brauchen wir, Herzis haben kalte Füße und Hände. Nein Frau Müller, das Kind ist nicht gut gebräunt, sondern zyanotisch. ? K1, lass deinen Bruder in Ruhe, sonst weint er wieder!
Next Level: ca. 97% Sauerstoffsättigung!
Und das ist mit der Herzkorrektur-OP alles passé!? Stillen, bis einer von uns keine Lust mehr hat! Physio so, dass sie wirklich Fortschritte bringt! Blassrosa Baby-Haut!! Und Feuer frei für die große Schwester!? Das letzte müssen wir mal abwarten ?
Ich bin gespannt, wie schnell wir vom „Team-Vorsicht“ ins Team „Jetzt geht’s los“ wechseln (einen super OP- und Heilungsverlauf vorausgesetzt)!
So oder so, es wird ein großer Meilenstein sein für das Herzkind und uns als Familie. War bei der großen Schwester das Abstillen, der erste Zahn oder der erste Schritt ein großer Meilenstein, fängt der kleine Bruder früh an mit den Meilensteine-sammeln. Vor dem ersten Weihnachtsfest schon 3 OPs hinter sich haben, ist schon ne Nummer und auch nicht erstrebenswert.
Aber darauf arbeiten wir hin: dass die ersten großen Meilensteine seines Lebens bis Weihnachten abgehakt und erledigt sind und wir „einfach so“ ins neue Jahr starten können. Dass die nächsten Meilensteine ganz „normale“ sind. Dass das nächste Jahr ein gaaaanz ereignisloses wird. Dass wir 2022 als turbulent, lehrreich, ein bisschen zu aufregend, aber auch glücklich und erfolgreich abhaken können.
Und jetzt „nur noch“ die OP am offenen Herzen meistern!