Der kleine muss auf einer richtig fetten Party gewesen sein. Der Hangover ist nicht von schlechten Eltern. Er leidet sichtlich. Wahrscheinlich ist ihm schwindelig, schlecht, heiß und kalt, zusammengefasst: ganz schön blümerant.
Zur Rekapitulation – auch für mich ? – Donnerstagnachmittag war die OP. Freitags haben wir abwechselnd den Finger zum Nuckeln gereicht. Samstag und Sonntag war viel schlafen angesagt, oder Nuckeln am Finger. Nach und nach wurden die Morphingaben durch Paracetamol ersetzt. Die Beruhigungsmittel heruntergeschraubt. Die Sedierung ausgeschlichen.
Sorgen machten den Ärzten nur das Kalium. Kalium wird ausgeschwemmt mit dem Mittel, welches zur Entwässerung gegeben wird, da während der OP oft viel Wasser eingelagert wird. Ansonsten waren alle Werte super stabil! Und die Sauerstoffsättigung ist ein Träumchen! ?
Irgendwie wird es diesen zwei Tagen nicht gerecht, sie nur so kurz abzuhandeln. Sie waren geprägt von „präsent sein“. Mitbekommen, was an Untersuchungen gemacht wird und mit welchen Ergebnissen. Für den Kleinen da zu sein, wenn und falls er mal wach war. Ich habe ganz oft und viel gesungen, auch wenn er schlief. Und „freie Stellen“ gestreichelt. Mit den Pfleger*innen gequatscht, ein bisschen mit anderen Mamas ausgetauscht. Präsenz war der Mehrwert, den wir als Eltern auf der Intensivstation geleistet haben. Mehrwert für das Herzkind, die Pfleger*innen, Ärzt*innen, andere Eltern und für uns! Und das ist ne Menge. Ich war von morgens 7:30 Uhr bis abends 23:00 Uhr im Krankenhaus.
Zurück in kleinen schnellen Schritten
So verging der Samstag und der Sonntag. Immer wieder wurde er wacher und war auch mal quengelig – verständlich wie ich finde. Während ich in diesen Phasen das Herzkind mit Nuckel-Finger und Gesang beruhigt bekommen habe, hat das Herzkind nebenan auch mal wieder eine Portion Medikamente bekommen zur Beruhigung. Dann, wenn die Eltern nicht da waren um das Kind zu beruhigen. In dem Moment hat sich meine Anwesenheit neben dem schlafenden Herzkind doppelt richtig angefühlt. Denn, wir wollten so schnell wie möglich da raus, und das geht nur ohne Unterstützung von Medikamenten.
Sonntags hatte der Kleine schon so wache Phasen, dass ich Sorge hatte ihn nachts alleine zu lassen. Also hab ich das Wichtigste gepackt, um eine Nacht auf dem Klappstuhl verbringen zu können: eine bequeme Hose und ein Ladekabel ? und sonntags wurden wir noch von einem Einzelzimmer auf der Intensivstation überrascht. Wir hatten einen Krankenhauskeim eingefangen. So wie auch 80% der anderen hier. ??
Und weil Sonntags auch das Wort „Normalstation“ fiel, hab ich auch im Ronald McDonald Haus alles gepackt. Dabei war ich Donnerstag erst eingezogen! Ich gebe zu, dass ich die wenigen Stunden ALLEINE in einem Bett sehr genossen habe. ?
Ich hatte noch eine leise Hoffnung, am Sonntagabend das erste mal zu stillen. Aber der kleine Mann und Held war fest am Schlafen. Ich habe ihm im Schlaf eine sondierte Mahlzeit gegönnt und bin dann doch noch einmal für ein paar Stunden ins Bett.
Montagmorgen stand ich pünktlich zur Hunger-Zeit um 7:30 Uhr am Bett. Dass ich stillen wollte, war kein Problem. Der Pfleger zeigte mir, wie ich das Bett verstellen kann und brachte ein paar Kissen. Und so habe ich mich übers Bett gehängt und der Kleine hat angedockt und gestillt, als wäre nix gewesen ?
Leider ist er dabei nicht selig eingeschlummert, wie ich mir das erträumt hatte. Die Paracetamol-Gabe hatte sich verspätet…und anstatt friedlichem Einschlafens hatte er anscheinend Schmerzen und weinte. ? Zum Glück helfen Mittelchen intravenös recht schnell und er hat schnell wieder ruhig gelegen und am Finger genuckelt.
Normalstation an Tag 5 nach OP!
Dann begann tatsächlich die Verlegungs-Zeremonie mit letzten Ultraschalls auf der Intensivstation. Kleine Sedierung, um noch die Drähte des Herzschrittmachers und den ZVK zu entfernen. Für solche kleinen Eingriffe werden Eltern weggeschickt. Teils würde ich dem Kleinen auch gerne zu diesen Zeiten beistehen. Aber ein wenig froh bin ich doch, dass ich nicht zusehen muss.
Ich nutze die Zeit um das Frühstück auf der Normalstation zu suchen und das neue Zimmer zu checken. Wir kommen wieder in das schöne kleine Zimmer vom Herzkatheter. Dieses Mal allein. (Jackpot, denn das liegt genau neben dem Jugendtreff und hat so kostenloses WLAN ?).
Zurück auf der Intensivstation ist auch schon der Papa da! Der Kleine ist noch sehr benommen von der letzten kleinen Sedierung. Wir verabschieden uns überschwänglich von allen uns bekannten Pflegekräften. Vielen ist anzusehen, wie sehr sie sich für uns und besonders das kleine Herzkind freuen. Abschiede auf Intensivstationen sind freudige Momente!
Der Montagnachmittag plätschert dahin. Ich stille den Kleinen in seinem Bett. Irgendwie habe ich immernoch Respekt davor, dass vor noch nicht mal 5 Tagen sein Brustbein geöffnet wurde. Ich möchte auf keinen Fall für zusätzliche Schmerzen verantwortlich sein!
Kuscheln! ?
Gegen Abend wird es mir mit seinem Hang zum Dauerstillen doch zu ungemütlich und ich baue uns beiden wieder eine kuschelige Co-Sleeping-Bettstatt.
Ich habe keine Sorge, dass ich auf ihn Rolle in der Nacht. Das tue ich ja auch nicht, wenn er nicht frisch operiert ist, aber ich mache mir Sorgen, weil er zum Stillen seitlich liegt.
Nur ihn interessiert das wieder überhaupt nicht. Er fängt dankbar an zu stillen…nur kommt er leider davon überhaupt nicht ans Schlafen. ?
Der Tropf ist undicht und pladdert alles voll, zwei mal werden wir von einer Pflegerin betüddelt um das zu richten. Gegenüber schreit ein Kind. Der eine Zugang ist dicht und wird gezogen. Der andere Perfusor piept und beschwert sich über den Druck. Dann piept er, weil die Spritze leer ist. Es ist immer was. Spätestens alle 10-15 Minuten werden wir wieder aus unserem Einschlafen gerissen.
Immer mal wieder schläft er kurz ein, aber nie mehr als 20-30 Minuten. Ich hab ein Deja-vu vom Herzkatheter. Um 2 Uhr nachts ist das Herzkind total aufgelöst und übermüdet. Die Schwester schlägt ein Schlafmittel vor. Das Pfefferminz-Ding, welches er beim Herzkatheter nicht schlucken wollte. Aber wir haben ja noch die Magensonde! Und so bekommen wir das Schlafmittel ohne Probleme rein und schlafen beide endlich mal für 3 Stunden ein. Bis halb 8 morgens haben wir eine halbwegs normale erste Nacht auf der Normalstation. ?
Nach müde kommt doof
Nach den normalen Morgenroutinen wie Wiegen und Visite, ist auch der zweite Zugang dicht. Leider. Ein Arzt kommt zur Blutabnahme. Falls die Werte nicht schon ok sind, muss noch mal ein neuer Zugang gelegt werden. ? wir genießen erst mal die Zeit ohne Zugang!
Wir nehmen jede Stillmahlzeit im Bett ein und oft pennt er danach kurz weg. So kommen wir über den Tag und Abend. Und schließlich die gute Nachricht, dass kein neuer Zugang gelegt werden muss!
Die Nacht wird wieder ähnlich unruhig. Aber da weniger Störungen von außen kommen, geht es bis ca. 3 Uhr. Da wird der Kleine weinerlich und lässt sich nicht mehr (mit meinen Ressourcen) beruhigen. Die Schwester schlägt einen kleinen Einlauf ein. Bisher hab ich das immer abgelehnt, aber mich beschleicht das Gefühl, dass wir ihm nun einen Gefallen tun. Danach ist er merklich entspannter und bekommt für die zweite Hälfte der Nacht noch mal ne halbe Portion Pfefferminz-Schlafsaft. Und so schaffen wir auch diese Nacht.
Ich gebe zu, dass sich für mich die Nächte und Tage nicht wirklich unterscheiden. Stillen, Kind beruhigen, selber versuchen auszuruhen. Und Zack steht schon wieder jemand mit Kalium oder Lasix neben mir und sondiert mein Kind. Ich hab mich nicht nur einmal sehr erschreckt. ?
Trotzdem zieht es sich…
Weil sich die Tage und Nächte nur durch einen Blick nach draußen unterscheiden, hab ich jegliches Zeitgefühl verloren. Für euch zur Einordnung: zweites Wiegen auf Normalstation bedeutet, es ist Mittwochmorgen. Vor nur einer Woche sind wir zu Hause los. ? Wie viel seitdem passiert ist! ( Und wie wenig ich seitdem geschlafen habe ?).
Die Waage zeigt zu viel an. Angeblich habe der kleine Mann zu viel Wasser eingelagert. Ich vertrete offen die Meinung, dass ich ihn so kenne. Und eine Gewichtsabnahme auch schwierig ist, wenn man 24 Stunden dauerstillt. Allein der Zeitpunkt des Wiegens ist problematisch. Wann ist beim Dauerstillen denn „kurz vor der nächsten Mahlzeit“!?
Ich frage bei der Visite erneut, wann wir entlassen werden bzw. was aktuell noch behandelt wird. Und tatsächlich ist es lediglich die Wassereinlagerung. Das Wasser kann das Herz bei seiner Arbeit zu sehr belasten.
Das Dauerstillen am Tag lässt mich zweifeln, dass wir bis zum Wochenende irgendwelche Fortschritte auf der Waage sehen. ?
Die Nacht auf Donnerstag wird nicht entspannter, aber routinierter. Dauerstillen und blooooß still liegen bleiben. So kommen wir in 45 Minuten-Takten in die Nacht. Anscheinend nicke ich irgendwann richtig weg. Um 2 Uhr steht die Nachtschwester neben mir, dass die Sättigung so schlecht sei. Wo das Kabel wäre. Ob er von einem Kabelwechsel wach würde. ??? Ich bin wieder hellwach, kann aber den Schlaf des Babys verteidigen. Beim Windelwechsel um 3 Uhr tausche ich das Kabel. Siehe da. Sättigung prima. Und wir kommen wirklich nur mit stillen durch die Nacht!
Bis um kurz nach 7 ein hellwaches und gut gelauntes Kind neben mir liegt. Ich bin sooo müde. Diese gute Laune macht mich wahnsinnig! ??? Ich bespreche mit meiner Schwester die Option, uns auf eigene Gefahr zu entlassen. Dauerstillen in unruhigen Nächten um eine Gewichtsabnahme zu erwarten, ist irgendwie kräftezehrend und wenig erfolgversprechende.
Vorbereitung des Abflugs
Heute – also Donnerstagmorgen – ist ein anderer Stationsarzt da. Ich lasse mir von ihm die Freigabe zum tragen im Tuch geben! Die andere Ärztin hatte zum Abwarten geraten. Ein Gamechanger!
Ich wackele mit dem Herzkind über den Flur. Um halb neun treffen sich täglich alle Ärzte der Kardiologie im Ärztezimmer. Ich nutze die Chance und gucke, wen wir so kennen. ? zwei lieb gewonnene Ärztinnen freuen sich mit uns. Ich höre „Der sieht aber gut aus!“ und „Kardial geht’s ihm doch super!“ und ich lasse den Halbsatz fallen, dass wir gerne schon nach Hause wollten. Da niemand geschockt scheint, entschiede ich: Ich setze das jetzt durch! Wir gehen nach Hause! ??
Auch Schwester J. lässt durchblicken, dass sie es uns zutrauen würde, nach Hause zu gehen. Also spreche ich es bei der Visite an. Ich frage den Arzt, aus welchem Grund er uns noch dabehalten wollen würde. Er meinte, es könne Sinn machen noch eine Nacht nach der RSV Immunisierung die Werte zu überprüfen, aber ein Muss ist es nicht.
Ich bin mir inzwischen sehr klar: so lange ich hier im Krankenhaus bin, werde ich nicht ausgeglichener und kann auch mein Kind nicht besser begleiten. Und der Kleine kommt auch am besten zu Hause zur Ruhe. Und so steht es fest: wir gehen nach Hause. Zu diesem Zeitpunkt ist die OP nicht einmal 7 Tage her!
Was folgt ist die Entlass-Odyssee. Unsere Entlassung ist nicht eingeplant und kommt noch on Top auf einen chaotischen Tag auf der Station. Wir verlassen nach verschollenen EKG-Aufzeichnungen und langen Wartezeiten, einer RSV Immunisierung und einem Abschluss-Ultraschall um 18 Uhr die Klinik. Ungefähr vor 7 Tagen haben wir Bescheid bekommen, dass die OP gut verlaufen ist.
Zu Hause
Als ich den kleinen Helden irgendwann abends im ruhigen Schlafzimmer im Familienbett in den Schlaf stille, scheint er es selbst kaum zu glauben. Wir genießen beide die Gemütlichkeit und die Ruhe. Es dauert zwar ewig, bis er sicher in den Schlaf findet und er lässt mich in der ersten Nacht auch nicht weit von sich weg, aber die Nacht ist – für beide – tausend Mal erholsamer als die im Krankenhaus. Vor allem, weil der Papa morgens die erste Schicht übernehmen und ich mich noch mal an die große Schwester kuscheln kann, die mich ja auch über eine Woche entbehren musste!
Mein Fazit für Krankenhaus-Aufenthalte
Für mich und für das Herzkind hat es sich ausgezahlt, die Zeit in der Klinik selbstbewusst anzugehen. Es lohnt sich, präsent zu sein, die Prozesse und Entscheidungen der Ärzte zu verstehen und zu hinterfragen (außer in Akutfällen natürlich), sich ein eigenes Bild zu machen und sich als Ergänzung zum Klinikpersonal zu positionieren. So kann man das ein oder andere Mitgestalten oder sich für die ein oder andere Entscheidung selbst positionieren.
Die Kompetenz die wir als Eltern mitbringen ist, dass wir unsere Kinder und ihre Bedürfnisse kennen. Und haben wir das Gefühl, dass das Bedürfnis nach Schlaf und Ruhe größer und wichtiger ist, als Zahlen auf einen Monitor zu schreiben, dann dürfen wir dieses Bedürfnis auch verteidigen. Gegen Nachtschwestern und auch gegenüber den Stationsärzten. Steht für eure Kinder ein! Sie leisten so viel und haben es verdient, dass man ihre Bedürfnisse verteidigt.
Auch den frühen OP-Termin haben wir Eltern verteidigt. Und das Ergebnis gibt uns recht. Die gute Sauerstoffsättigung hat den Opisthotonus des Herzkindes vertrieben. Der Kleine ist so entspannt und zufrieden wie noch nie in seinem Leben.
Und so starten wir jetzt als ganze Familie in einen neuen Lebensabschnitt, ganz ohne OP-Stress. Und wir hoffen, dass es – trotz fehlender Pulmonalklappe – lange so bleiben wird.