Es ist 17 Uhr und ich sitze auf der Intensivstation neben meinem – endlich – schnarchenden Baby. Der kleine Kämpfer. Er hat heute schon eine Tour hinter sich und gestern die Korrektur seiner Fallot‘schen Tetralogie …
Ich fange mal „vorne“ an. Euch fehlt ja ein Part. Ein ziemlich entscheidender.
Die Selbst-Isolation – erste Etappe
Nachdem wir den Termin für die OP bekommen haben, haben wir direkt Maßnahmen ergriffen: wir haben uns selbst isoliert. Da das mit einem Kindergartenkind und einem Säugling mit Pflegestufe 4 nicht ganz easy sind, haben wir uns wieder an unser „Dorf“ angeschlossen. Oma und Opa haben sich gefreut uns aufzunehmen und der Papa hat sich dort ein Homeoffice eingerichtet.
Wir haben alle Termine abgesagt, vor allem die Impfungen. Oma und Opa haben von uns ein paar zu viele Corona-Tests in den Mund geschoben bekommen, als nötig. Die große Schwester hatte niemanden in ihrem Alter zum spielen und war dementsprechend unausgeglichen. Der Papa hatte nur ein Behelfsbüro. Und ich hatte Kopfkino. Tag und Nacht.
So haben wir die erste Woche des Wartens gut rum bekommen. In der zweiten Woche haben wir schon den „OP-Modus“ geübt: Oma ist mit uns nach Hause gefahren. So konnten sich Oma und große Schwester wieder ein bisschen eingrooven.
Trotz der guten Vorbereitung und der guten Unterstützung war alles doch irgendwie stressig und angespannt. Ich war so froh, als DAS vorbei war.
Endlich tut sich was – auf in die Klinik – Etappe 2
Dank Oma hatten wir als Eltern den Rücken frei und sind im Doppelpack zur Aufnahme gefahren. Ein voller Tag. Leitstelle, Größe, Gewicht, Kopfumfang, zwei Mal Coronatest, EKG, Blutabnahme und Zugang legen, Röntgenbild vom Thorax, Gespräch mit den Anästhesisten, Schädelsono, Herz-Sono und dann ENDLICH das Gespräch mit den Chirurgen.
Wir haben erfahren, dass der Kleine Kämpfer den Shunt entfernt bekommt. Dann der VSD verschlossenen wird (Ventrikelseptumdefekt, ein Loch zwischen den beiden Herzkammern in der Herzscheidewand), und dann noch die Pulmonalarterie mit einem Patch vergrößert wird. Dabei wird die Pulmonalklappe quasi stillgelegt. TAP heißt die Art von Patch. Eine transannulären Patcherweiterungsplastik oder auch transannulärer Patch.
Für uns neu: die ersten Jahre wird der kleine Kämpfer ohne Pulmonalklappe zu einem großen Kämpfer werden! Erst wenn die rechte Herzkammer sich zu sehr anstrengen muss, wird über den Einsatz einer Klappe entschieden! Bis dahin strömt nach dem herauspumpen des Blutes aus dem Herz Richtung Lunge immer ein bisschen auch wieder zurück. Das Herz muss das mit einer extra Pumpleistung kompensieren. Mit viel Glück, schafft er es so ohne OP bis er „ausgewachsen“ ist und die Klappe in der richtigen Größe eingebaut werden kann! ?
Am Ende die schlechte Nachricht: wir sind die zweite geplante OP für den Folgetag. Sollte die erste OP nicht in der geplanten Zeit durch sein, müssten wir wieder nach Hause. ?
So. Das waren siebeneinhalb Stunden Klinik. 9 Stunden unterwegs. Das Herzkind war durch. Ich hab es direkt ins Bett gebracht und in den Schlaf gestillt. Endlich ein bisschen Ruhe für mich. Die „Kür“ (Fieber messen und waschen) habe ich in die erste Wickelpause gelegt.
Die Nacht startet ruhig, das Herzkind hat gut in den Schlaf gefunden …nur mein Gedankenkarussel hörte nicht auf sich zu drehen. ?
Trotzdem war ich froh, dass DAS geschafft war. Auf zur nächsten Etappe. Warten auf die OP.
Warten am OP Tag – Etappe 3
Bis 6 Uhr morgens war uns Stillen erlaubt. Als das Herzkind sich um kurz nach 5 Uhr meldet, wickele ich es ein bisschen unsanfter als sonst…soll es sich doch richtig satt trinken um wieder einzuschlafen! War ne super Idee ???♀️ hellwach liegt das Herzchen neben mir und quasselt vor sich hin. Kurz vor 6 reift ihm dann doch die Erkenntnis: Frühstücken wäre super! Um 6:15 Uhr schläft der Kleine wieder tief und fest. Um 7 Uhr ist die Nacht dann aber vorbei, auch beim kleinen Zimmernachbarn, der OP-Kandidat Nr. 1 ist für den Tag. Ich wünsche den Eltern beim Abschied eine komplikationslose OP. Nicht ganz uneigennützig ??.
Unser Kämpfer zeigt sich entspannt…während er den Lüftungsschlitzen an der Decke was erzählt, kann ich halbwegs in Ruhe frühstücken.
Als dann Zeit ist für sein zweites Frühstück, wird er doch ein bisschen unruhig. Er hat weder Hunger noch Durst, denn die Infusion versorgt ihn mit allem was er braucht. Aber er wünscht sich glaube ich doch, wie gewohnt für ein sattes Vormittagsnickerchen an Mamas Brust einzuschlafen. Ich packe ihn ins Tuch und relativ schnell schläft er – an meinem Finger nuckelnd und schmatzend – ein.
Um richtig Zeit zu schinden, war das Schläfchen aber zu kurz. Wir vertreiben uns die Zeit mit Windeln wechseln und „Großreinemachen“ ??. Wieder Arm. Wieder Bett. Arm. Bett. Arm…. Endlich kommt der Papa. Papas Arm, Bett, Papas Arm, Bett. Mittagessen. Und immer die bange Frage: kommen wir heute noch dran?
Ich erzähle den Kleinen (und mir) mal wieder, dass heute sein großer Tag ist und sein Herz geflickt wird. Wiederhole unser Mantra, dass jetzt genau der richtige Zeitpunkt ist. Dass ich ein gutes Gefühl habe. Und jedes Mal bekomme ich mehr feuchte Hände und die Nervosität steigt.
Während er seinen Mittagsschlaf im Tuch startet, kommt endlich die Nachricht: um halb zwei geht’s runter zum OP! Puh. DAS Warten ist geschafft! Eine Anspannung fällt ab, mir fließen die Tränen in Strömen.
Auf in den OP – Etappe 4
Der Papa packt den Popo in eine frische Windel. Das OP Hemd ist dieses Mal fröhlich gepunktet und der kleine darf auf Papas Arm bis zum OP getragen werden.
Ich mache Fotos um mich zu beschäftigen. Vom Kind, vom Papa mit Kind, letzte Fotos von der Marmorierung und den blauen Händen.
Der OP Trakt gleicht einer Fabrik. 32 OPs sind hier. An den Schleusen gibt es eine Art „Tresen“. Bei dem ist Schluss für uns. Hinter dem Tresen sind zwei lautstark Erzählende Mitarbeiter am Räumen und Tun.
Mir ist die Kehle wie zugeschnürt. Der kleine ist immernoch auf Papas Arm und relativ entspannt. Ein gediegener Mittagsschlaf wäre ihm jetzt wahrscheinlich lieber, aber von Papa getragen zu werden, scheint auch OK. In mir kommt nur ein panischer Gedanke auf: hoffentlich muss ich nicht diesen beiden da hinterm Tresen mein Baby mitgeben! Ich werde mein Baby AUF KEINEN FALL diesen beiden laut diskutierenden Menschen mitgeben! Er kennt die beiden doch gar nicht. ICH kenne sie nicht.
Ich frage die mitgereisten Schwestern, wie weit wir mitgehen dürfen. Dann folgt eine gute und eine schlechte Nachricht. Hier am Tresen ist für uns definitiv Schluss. Aber die Anästhesistin kommt ihn holen. Und da kam sie auch schon. Wir kennen sie jetzt schon fast ein halbes Jahr. Sie kennt den kleinen fast ab Geburt. Erleichterung macht sich breit. Vor allem, weil sie schon zwei kleine Spritzen mit hat.
Der kleine kommt nun doch in sein Bett. Und während die Anästhesistin einen Schietegal-Cocktail verabreicht in den Zugang, dürfen Papa und ich den kleinen beruhigen und streicheln…bis das Scheißegal-Gefühl sichtbar bei ihm angekommen ist. Ich hätte ihm gerne vorgesungen beim Einschlafen…aber Singen ging echt nicht bei mir. ?
Dann rollt das Bett weg und verschwindet um die Ecke. Wir verlassen den OP-Trakt und die Tür schließt. Gut, dass ich DAS hinter mir habe.
Warten während der OP – Etappe 5
Das Warten während der OP läuft gut an. Zimmer auf Station räumen. Ummelden an der Leitstelle. Fahrt ins Ronald McDonald Haus. Anmelden und Zimmer beziehen. Und Zack ist ein Sechstel der veranschlagten Zeit rum. Kurz überlege ich zu schlafen…aber so entspannt ist es dann doch auch nicht.
Wir rechnen aus, wann wir frühestens morgen einem Anruf rechnen. Zu früh darf er nicht kommen. Allzu spät auch nicht. Beides würde Aussagen über die OP treffen, die wir nicht hören wollen.
Wir fahren mit dem Bus in die Stadt, finden fast vor lauter Weihnachtsmarkt-Aufbauarbeit den Eingang zum Dom nicht und schaffen es dann trotzdem, zwei Kerzen anzuzünden. Ein Drittel Wartezeit geschafft! Puh!
In der Innenstadt herumlaufen (wie ferngesteuert) noch mal ein Sechstel. Wir beschließen was zu Essen. Meine Schwester feiert seit Jahren gerne mit Wiener Schnitzel am Elisenbrunnen! Also gesagt, getan. Kurze Stippvisite meiner Schwester und dann treibt es uns kurz nach dem Essen wieder ins Ronald McDonald Haus.
Ein Drittel Wartezeit ist „noch übrig“. Ich versuche die Augen zuzumachen. Die letzten Nächte waren doch recht schlaflos und wenig erholsam. Ich döse und frage alle 7 Minuten nach der Zeit. ?
Und dann klingelt das Telefon! Eine Stunde früher als erwartet! Mit zittrigen Fingern finde ich die Lautsprecher-Funktion. Ich kann die Nachricht nur fetzenweise wiedergeben. Es fielen Worte wie „super gelaufen“, „sehr gute Situation danach“, „die nächsten 24 Stunden entschieden, aber ich denke nicht, dass da noch was kommt“.
Puuuuuh! DAS ist nun auch vorbei.
Da ist er ja! – Etappe 6
Um 13:30 Uhr haben wir das Herzkind abgegeben, um 20:30 Uhr sehen wir es endlich wieder. Die Stimmung im Zimmer ist super. Arzt und Pflegerin scherzen. Das kennen wir sonst anders.
Das Herzkind schläft friedlich. Klar hängen viele Perfusoren dran, die Thoraxdrainage ist da. Aber der Brustkorb ist verschlossen und die ganze Kunst versteckt sich hinter einem schnöden Pflaster!
Wir stehen da, streicheln freie Stellen, Scherzen mit den uns wohlbekannten Ärzten und Pflegern. Erleichterung pur.
Der Papa fährt relativ zeitig zurück zur großen Schwester. Ich bleibe noch bis 23:00 Uhr und gehe, nachdem ich noch eine Ladung Mamamilch dagelassen habe.
Ich schlafe wie ein Stein. Als ich nachts zum Milch Pumpen aufstehe, rufe ich auf der Intensivstation an. Der kleine pennt friedlich und alle Werte sind stabil!
Der Tag danach – Etappe 7
Als ich am Tag darauf komme, schläft der kleine Mann. Alle sind von seinen Werten hellauf begeistert. Es heißt, dass er direkt schon Extubiert wird, denn eigenständiges Atmen wäre förderlich und er würde eh zu 100% mitatmen.
Um kurz nach 10 Uhr morgens war es dann auch schon so weit! Ich hab anstatt oben auf der Intensivstation zu warten die Zeit genutzt, um einen neuen Corona-Test zu machen. Und hab dann gleich noch draußen den Papa eingesammelt, der im Anflug war.
Als wir beide auf dem Weg nach oben sind, werden wir schon angerufen…wir sollten doch bitte kommen, das Herzkind hätte sich ganz schön aufgeregt danach.
Oben angekommen finden wir Pflegerin C. mit ihrem Finger in Herzkinds Mund vor. Sie hat sich seeeehr für meinen Tipp mit dem Finger bedankt. Und noch dankbarer war sie, dass wir übernehmen konnten. ??
Und so haben der Papa und ich 7 Stunden am Stück, aber abwechselnd, unseren Finger zum Nuckeln dargeboten. Bis irgendwann die Ärzte ein einsehen hatten, dass Herzfrequenzen von 170-190 nicht nach „Beruhigung“ aussahen. Um 16 Uhr gab es dann ne Ladung Drogen. Was zur Beruhigung und noch was zum Schlafen. Und dann bekam er irgendwann ENDLICH die Kurve und schlief.
Jetzt, hier um 17 Uhr neben dem schlafenden Baby denke ich, gut, dass wir DAS geschafft haben.
Und ich überlege, wie viele „DAS“ wohl noch kommen werden, während ich meinem endlich friedlichen schnaufenden Baby beim Schlafen zusehe.
Unser kleiner tapferer Kämpfer hat es geschafft. Das Herz ist so weit korrigiert, dass er Sättigungen wie jeder herzgesunde Mensch hat. Und ich bin so froh, dass er DAS geschafft hat. ?❤️