Oder: warum ich Rolfs Weihnachts-Tonie nicht mehr hören mag.
„Macht euch beeereit!“ Schon einen Ohrwurm? Ich bin mit Rolf Zuckowski groß geworden. Höre ich seine Stimme und die Lieder, die ich alle auswendig kann (jedenfalls alles, was so bis 1990 erschienen ist), bin ich teilweise zurückversetzt in meine Kindheit.
Egal ob Laternenlieder, Osterlieder (Stups ist legendär) oder die Lollipop-Band, die einen Tusch für alle Geburtstagskinder spielt, ich habe ausnahmslos gutgelaunte, positive, und fröhliche Assoziationen mit den Schlagern meiner Kindheit! ? Und meine Kinder müssen da mit. Die werden auch von ihm besungen. Ich muss auch sagen, dass Rolfs Lieder die schlechte Stimmung im Auto innerhalb von zwei bis drei Takten pulverisiert. Magisch!
Der kleine Engel im Ronald McDonald Haus
Aber zurück zum Weihnachtsbäckerei-Tonie. Bei uns werden Saison-Tonies öfter mal „antizyklisch“ gespielt. Und so kam es, dass der kleine hellblau Engel auch im Frühsommer mit ins Ronald McDonald Haus gezogen ist. Und die angespannte Situation von uns Eltern hat dazu geführt, dass eigentlich nur dieser Tonie Ruhe gebracht hat und zum Einschlafen funktionierte.
Wer meinen Blog verfolgt, der hat bestimmt auch schon den Artikel von DEM Tag gelesen. DER Tag, mit dem Anruf frühmorgens, der Tag der von Hoffnung in totale Ohnmacht und Hilflosigkeit am Abend umgeschwenkt ist. Der Tag, an dem wir dachten, wir sehen den kleinen Kämpfer nachmittags nach einem erfolgreichen Herzkatheter wieder. Der Tag, an dem er nach der ungeplant angehängten OP zweimal reanimiert werden musste und (wahrscheinlich) bei der Wieder-Anlage der ECMO zwei Schlaganfälle erlitten hat. Der Tag, an dem wir unser Herzkind erst gegen 22 Uhr mit wieder eröffneten Brustkorb auf der Intensivstation sehen konnten.
An DEM Tag, habe ich die große Schwester ins Bett gebracht:
„Mein Mann ist dann direkt los in Richtung Klinikum. Voller Sorge. Und ich habe zu Ende gepumpt, abwesend dabei der großen Schwester vorgelesen und sie danach ins Bett gebracht. Zum Glück ist sie eingeschlafen obwohl ich wie ein nervliches Wrack neben ihr lag.“ (aus dem Blog-Artikel vom Tag der Shunt-OP)
Also lief auch bei DIESER Einschlafbegleitung die Weihnachtsbäckerei. Und während ich neben meiner langsam ruhiger werdenden Tochter liege und die Lieder spielten, waren in meinem Kopf unaussprechliche Gedanken. Ob ich meinen kleinen Sohn noch lebend wiedersehe. Ob ich ihn jemals wieder im Arm halten darf.
Nichts wird so, wie es mal war oder wir es uns vorgestellt haben. Kann ich das schaffen? Können wir als Familie das schaffen? Ich würde so gerne die Zeit zurück drehen! Warum ich?
Wenn ich die Musik HEUTE höre
Und nun liege ich ein halbes Jahr später zwischen meinen beiden Kindern im Bett bei der Einschlafbegleitung. Es ist die erste Adventswoche. Ausnahmsweise hören wir den Weihnachtsbäckerei-Tonie in der richtigen Saison!
Während die Musik spielt merke ich, wie sich wieder dieser Druck am Hals- und Brustbereich ausbreitet. Das Gefühl, weglaufen zu wollen. Ich könnte spontan Weinen, aber ich bin wie gelähmt. Ich möchte etwas tun, weiß aber nicht was. Die Hilflosigkeit und Ohnmacht ist greifbar.
Ich sehe den Fußweg zum Klinikum vor mir, den Pförtner, der mich auch ohne Test durchlässt, den Arzt, der dir Worte sagt: es ist ernst.
„Kleiner grüner Kraaaanz, Schenk mir deinen Glaaaanz…“ Puh. Durch die ersten Lieder und die erste Schockstarre bin ich durch. Vom kleinen grünen Kranz habe ich dem Herzkind die folgenden Tage oft vorgesungen. Ich hatte die Lieder im Kopf und der kleine grüne Kranz war der Nr. 1 Ohrwurm.
Beim kleinen grünen Kranz ändert sich mein Empfinden, das Gefühl. Durch das Singen bin ich wieder in „meinem Tanzbereich“. Ich konnte damals durch Singen in dieser Situation etwas TUN, um dem Herzkind beizustehen.
Endlich schlafen die Kinder und ich kann raus aus dem Zimmer. Muss die restlichen Lieder nicht mehr hören.
Neue Assoziationen
Ich hoffe, dass ich nächstes Jahr die Lieder wieder mit den früheren Assoziationen verknüpft bekomme. Die Vorfreude auf Weihnachten. Die von Mama festlich geschmückte Wohnung. Die abendliche Schnüpperle-Geschichte. Von Papa gepellte Mandarinen und geschnippelte Äpfel. Mit verschwindenden Wunschzetteln. Dem Zank, wer von den Geschwistern wann dran ist mit dem Adventskalender.
Vielleicht hilft es schon, diesen Text zu schreiben. Und vielleicht hilft es, die Assoziationen vom 24.05.2022 mit neuen Advents-Erlebnissen meiner Kinder in diesem Advent zu überschreiben.
Packen wir es an. Heute haben wir Plätzchen gebacken. Der Papa und ich basteln zum ersten Mal einen Adventskalender. Morgen wird zum ersten Mal Schnüpperle gelesen.
Macht euch bereit! ❤️